Mitmachstadt
„Mach mit!“ hieß es von Juni bis September 2016 auf dem Außengelände des werkHAUS5 der LVR-Klinik Düren. Dort gab es nicht nur eine sehr große Menge keramischen Ton zu entdecken, sondern auch die Möglichkeit, künstlerisch damit zu arbeiten. Aus sieben Tonnen Ton und mit Ideen, Träumen und Fantasie entstand eine große Städtelandschaft, die sich täglich veränderte und wuchs.
Alle Besucher und Besucherinnen des LVR-Klinikums, Bewohnerinnen und Bewohner Dürens und aus Nachbarstädten waren eingeladen, mitzubauen. An zwei Nachmittagen in der Woche und am Wochenende stand die Mitmachstadt Düren allen Interessierten zur Mitgestaltung offen.
Das Konzept
Die „Mitmachstadt“ (auch „Bauvorhaben Mitmachstadt“) ist ein künstlerisches Projekt, das von 1979 bis 1981 in verschiedenen westdeutschen Städten stattgefunden hat. Entwickelt hat es die Gruppe Leut’Werk: Eckhart Haisch, Konstanze Schmidbauer (geb. Hedrich), Ingolf Kirsch und Gabriele Ramdohr, damals Studierende im „Modellversuch Künstlerweiterbildung“ in Berlin, dem Vorläufer des heutigen Instituts für Kunst im Kontext an der Universität der Künste Berlin. Die Urheberrechte liegen bei den Kunstschaffenden.
Das Konzept umfasst den partizipativen Bau einer Modellstadt aus sechs bis neun Tonnen Ton, inklusive Verhandlung kontext- und zeitspezifischer künstlerischer und städtebaulicher Fragen mit dem Publikum. Die künstlerische Versuchsanordnung ist in Form eines schriftlichen Konzepts aus dem Jahr 1979 dokumentiert. Wiederaufführungen bedürfen einer kontextreflexiven Aktualisierung, die bis dato von der Universität der Künste Berlin vorgenommen wurden.
Unser Konzept ist eine Weiterentwicklung des ursprünglichen Konzeptes, das mit den Urheberinnen und Urhebern abgestimmt ist.
Versuchsanordnung: „Mitmachstadt Düren“
Die Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft hat die „Mitmachstadt“ in Kooperation mit dem Förderverein Psychiatriegeschichtliches Dokumentationszentrum e. V. im Außenhofbereich des Haus 5 der LVR-Klinik Düren von Juni bis September 2016 neu aufgeführt.
- Der Ort: Das Haus wurde im Jahre 1900 als Bewahrungshaus erbaut, in dem bis 1986 ausschließlich männliche forensische (psychisch strafunmündige) Patienten untergebracht waren. Auf Grund seiner Geschichte wird das Haus sowie das Gelände noch heute stigmatisiert wahrgenommen. Das Klinikgelände befindet sich auf Grund seiner Nutzung und Umbauten im steten Umbruch. Heute fungiert das Haus 5 als Ort für inklusive Kunstbegegnungen sowie als Ort für die Begegnung mit seiner Historie.
- Die Entscheidung für die Umsetzung auf dem öffentlich zugänglichen Gelände eines Fachkrankenhauses für Psychiatrie war der Bezug zum aktuellen Thema der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft, „Perspektive Umbruch“: Welche Umbrüche hat es auf diesem Gelände und im Zusammenhang mit der Stadt räumlich gegeben? Welche auf der gesellschaftlichen Ebene? Welche Wahrnehmung von Raum haben die Menschen vor Ort? Wie nehmen Künstlerinnen und Künstler das Areal wahr? Wie kann eine Stadt aussehen, in der sich alle wohlfühlen? Ein weiterer inhaltlicher Fokus des Projektes lag auf der Beschäftigung mit „inneren Räumen“, „Innenwelten“ und persönlichen Umbrüchen, die in besonderem Maße den Ort einer Psychiatrie bestimmen.
- Das Projekt sah vor, ca. 7 Tonnen Ton im Außenbereich über drei Monate zur Verfügung zu stellen, um über ästhetische Handlungen einen kommunikativen Raum entstehen zu lassen und gleichzeitig einen skulpturalen Raum zu bauen. Im Unterschied zu der ursprünglichen Idee der Mitmachstadt, die sich auf kürzere Zeiträume und die Einbettung in eventähnliche öffentliche Veranstaltungen bezog, boten die längere Dauer und begleitende Workshop-Angebote die Möglichkeit, in einen intensiveren Dialog mit den Teilnehmenden zu treten.
- Es sollte ein Raum entstehen für den künstlerischen Austausch zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt Düren, Besucherinnen und Besuchern der Klinik, Patientinnen, Patienten und Angehörigen, Klinikpersonal sowie Künstlerinnen und Künstlern. Die Mitmachstadt sollte dabei als Seismograph lokaler und persönlicher Fragestellungen fungieren und den erwachsenen Teilnehmenden ermöglichen, sich sowohl mit Außen- als auch mit Innenwelten künstlerisch zu beschäftigen. Im Vordergrund stand der Einbezug von Menschen, die am bisher vorhandenen Kunstangebot nicht beteiligt waren (sowohl innerhalb wie außerhalb der Klinik). Der historisch belastete und auch heute nur schrittweise angenommene Ort sollte neu und künstlerisch belebt werden.
Die Wiederaufführung – ein Resümee
Entstanden ist eine ca. 35 Quadratmeter große Fläche mit einer fiktiven Landschaft, die alles enthielt, was die Welt ausmacht.
Das Interesse, die Neugier und die positive Resonanz von vielen, vorwiegend männlichen Patienten an dem Projekt war groß. Es gab einige, die kontinuierlich während der Projektlaufzeit mitgearbeitet haben sowie einige, die auch nach ihrer Entlassung weiterhin gekommen sind, um weiterzuarbeiten.
Die Auseinandersetzung mit den Räumlichkeiten der Psychiatrie sowie der Stadt Düren wurde im Laufe des Projektes zugunsten einer „fiktiven“ Landschaftsgestaltung aufgegeben. Dabei hat der entstandene Freiraum in der Beschäftigung mit sich selbst und den anderen sowie die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Material bei einigen Möglichkeitsräume geschaffen, die längerfristig positive Auswirkungen auf ihre Biografie hatten und große Entwicklungspotenziale in dem Projektaufbau aufzeigten. Der Einbezug von Klinikpersonal sowie von Bürgerinnen und Bürgern aus Düren ist dabei nur ansatzweise gelungen – die negative Konnotation des Ortes stellte für viele eine zu große Hemmschwelle dar.
Das Konzept der Mitmachstadt wurde von der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft weiterentwickelt zu „Landschaffen“ und 2018 erneut auf einem Gelände eines Krankenhauses für Psychiatrie und Psychotherapie in Mönchengladbach-Rheydt realisiert.